
Agenda 2010 und Kriegseinsätze bedingen sich gegenseitig
Die Agenda 2010 ist eine der größten Reformen in den vergangenen Jahren, die einen krassen Einschnitt in das Sozialsystem beinhaltet. Der bekannteste Bestandteil dieser Agenda ist Hartz IV, die Spitze dieses großen Eisberges. Neben dem arbeitsmarktpolitischen Einschnitten (Hartz I-IV), gab es auch grundlegende Änderungen in der Rentenpolitik (Riester, Rente mit 67) und in der Steuerpolitik (Senkung des Spitzensteuersatzes). Alles in allem war die gesamte Agenda eine große Umverteilung von unten nach oben. Im Ergebnis ist sowohl der Reichtum, als auch die Armut angestiegen.
So eine grundlegende Reform wird allerdings nicht von heute auf morgen entschieden und umgesetzt. Eine gute Vorbereitung ist unabdingbar, damit die Umsetzung erfolgreich ist. Ein wichtiger Garant für die Umsetzung ist u.a. auch die wirksame Eindämmung des Protestes. Wie wurde der Protest gegen die Agenda 2010 „reguliert“? Wie ist die Agenda 2010 überhaupt entstanden?
ls elementarer Ausgangspunkt der sozialen Kürzungen wird das „Lambsdorff-Papier“ von 1982 genannt. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff brachte dieses Papier unter dem Titel „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ heraus. Dieses Papier ist als „Scheidungsurkunde“ der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt bekannt. Helmut Schmidt bezeichnete es als „Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Artikel 20 unseres Grundgesetzes und eine Hinwendung zur Ellbogengesellschaft“. *
Das Lambsdorff-Papier war mehr als eine Scheidungsurkunde, es war fester Bestandteil der nachfolgenden Politik unter Kohl, Schröder und Merkel. Das Ziel war die Erhöhung der Kapitalerträge und die „relative Verbilligung des Faktors Arbeit“. Dies sollte v.a. durch Senkung der Lohnnebenkosten geschehen (Anteil der Arbeitgeber_Innen an den Sozialversicherungsbeiträgen). U.a. wurde gefordert die Dauer des Arbeitslosengeldes auf 1 Jahr zu verkürzen und die Rente mit 67 einzuführen. Außerdem wurde die Verschärfung der Zumutbarkeit für Erwerbslose gefordert. Alle dieser Vorschläge wurden durch nachfolgende Regierungen umgesetzt. Die rot-grüne Regierung unter Schröder ging mit der Einführung der Hartz-Gesetze sogar einen Schritt weiter.
In diesem ganzen Gefüge spielte auch die Bertelsmann-Stiftung eine wesentliche Rolle. Von 1980-1993 wurde von ihr eine Studie zur „Beschäftigungspolitik im internationalen Vergleich“ in Auftrag gegeben. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten durch Bodo Hombach (organisierte 1998 den Wahlkampf der SPD) in die Massenmedien gebracht werden. So meldete die ZEIT bereits 1994, dass die OECD einen radikalen Umbau der Sozialsysteme fordert. „Dass die OECD aggressiv den „Washington Consensus“ (Wettbewerb, Privatisierung, Deregulierung; Anmerkung der Redaktion) propagiert, wurde dem vielleicht doch nicht so gebildeten Leser nicht mitgeteilt“ **
Der Wahlkampf 1998 der SPD wurde durch die Mediengruppe Bertelsmann(RTL, ZEIT, SPIEGEL) massiv unterstützt. Bodo Hombach hatte die Funktion eines „spin doctors“ (einer, der mit Mitteln der Werbetechnik politische Informationen manipuliert). Die wesentlichen Punkte aus dem Forderungskatalog, die von der Bertelsmann-Stiftung direkt nach dem Wahlsieg (1998) gestellt wurden, wurden in das Schröder-Blair-Papier 1999 aufgenommen und später- Stück für Stück- umgesetzt. Vorher (1998) wurde durch Schröder ein „Bündnis für Arbeit“ eingesetzt, indem die oberste Gewerkschaftsebene eingebunden wurde. Im Juli 1999 einigte sich der Arbeitgeber-Verband BDA und der DGB bereits im dritten „Bündnisgespräch“ auf „Reformbereitschaft“ und „-flexibilität“ hinsichtlich der Lohn- und Tarifpolitik.
Walter Riester (stellvertretender Vorsitzender der IG Metall) wurde als Arbeits- und Sozialminister ernannt und leitete als solcher die Rentenreform („Riesterrente“) ein. Die Bertelsmann-Stiftung lieferte die Begründungen: „demografischer Wandel“ und „Generationenvertrag“. Hans Eichel (Finanzminister) leitete die Steuerreform ein. Der Spitzensteuersatz wurde von 53 auf 42% gesenkt.
Für die arbeitsmarktpolitische Reform gab es einen nicht-öffentlichen Arbeitskreis (vernetzt mit Steinmeiers Kanzleramt, Riesters Ministerialien und Bertelsmann Mitteln; bestehend aus Vertreter_Innen des DGB, des Arbeitgeber-Verbands Gesamtmetall, der Ländern, Kommunen und der Bundesanstalt für Arbeit). Die Sozialrechtlerin Helga Spindler kommentiert diesen intransparenten Prozess: „Bald erschien die Zusammenlegung der beiden Systeme Arbeitslosen- und Sozialhilfe als ´einzig gangbare Lösung […]´. Der DGB-Vertreter wehrte sich zwar dagegen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Spätestens dann hätten die Überlegungen öffentlich gemacht werden müssen. Wurde sie aber nicht, im Gegenteil: Die Lösung wurde bereits als alternativlos gehandelt.“ ***
2002 wurde dann die „Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit“ unter Leitung von Peter Hartz eingesetzt. Die Kommission setzte sich wie folgt zusammen: Vertreter_Innen von Daimler, BASF, Deutsche Bank, IT-Firma, Bezirksleiter der IGM NRW, verdi-Bundesvorstand, zwei Bertelsmann-nahe Professoren, Arbeitsminister NRW, SPD-OB aus Leibzig, Arbeitsamts-Präsident aus Hessen und Unternehmensberater der Firmen McKinsey und Roland Berger. Der Vorwand der Kommission war der zum Skandal hochgeschriebene Vermittlungsskandal (durch den Bundesrechnungshof).
Die Vorschläge der Kommission wurden dann in vier Schritten umgesetzt. Hartz I (Entfesselung der Leiharbeit) und Hartz II (geringfügige Beschäftigungen, Ich-AG und Jobcenter) wurden ab dem 1. Januar 2003 umgesetzt (einzelne Bestandteile etwas später). Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit wurde mit Hartz III zum 1. Januar 2004 umgesetzt. Hartz IV (Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Abriss aller Schutzmechanismen durch Zumutbarkeit, Sanktionen, Regelsatz und Bedarfsgemeinschaft)wurde am 1. Januar 2005 umgesetzt.
Der Protest gegen diese Gesetze wurde maßgeblich durch die IGM-Spitze gebremst. Trotzdem gab es ab November 2003 eine zunehmende Protestbewegung, die sich unabhängig von dem Aufruf von Gewerkschaften in deutschen Städten versammelten und gegen diesen Sozialabbau demonstrierten. 2004 waren es eine halbe Millionen Menschen. Als parlamentarische Reaktion wurde in diesem Jahr die „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“(WASG) gegründet. Vor der Bundestagswahl 2005 schloss sie sich dann mit der PDS zur Partei die Linke zusammen.
Die ganz große Koalition (SPD, Grüne, Union, FDP) aus Befürwortern der Agenda 2010 geriet zunehmend unter Druck. Besonders die Wahl 2009 bedeutete einen bedeutenden Verlust, v.a. für die SPD: zum einen mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 und zum anderen mit der Halbierung der Mitgliederzahlen auf eine halbe Millionen.
Die Agenda wird von den Befürwortern oftmals ähnlich begründet: „Mit der Agenda 2010 haben wir … notwendige Schritte unternommen, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.“ (Schröder)****
Die Agenda wird von den Befürwortern oftmals ähnlich begründet: „Mit der Agenda 2010 haben wir … notwendige Schritte unternommen, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.“ (Schröder)****
Die Bilanz nach 10 Jahren Agenda 2010 ist erschreckend: 6 Millionen Menschen müssen sich für das nackte Überleben unter das Hartz IV-Regime unterwerfen (!!!). Die Willkür der Behörden nimmt zu, so ist u.a. die Zahl der Sanktionen 2012 erstmals über die Millionengrenze gestiegen. Durchschnittlich wird das sowieso knappe Geld um 112€ gekürzt, oftmals auch ganz, wenn die Menschen sich nicht den Regeln fügen. Der Hungertod kommt nur selten vor, der Grund sind die Almosen durch die Tafeln. Auf der anderen Seite hat sich die Wettbewerbsfähigkeit für die Großkapitalist_Innen in Deutschland v.a. durch die Senkung der Lohnnebenkosten und der direkten Lohnkosten gesteigert. Real sinkende Lohnstückkosten in den letzten 20 Jahren haben zu Einbußen in der Binnennachfrage geführt, zum Ausgleich wurde der Export gesteigert.
Zurzeit dominiert die prekäre Beschäftigung (unsicher, schlecht bezahlt). Der Niedriglohnsektor ist mittlerweile der zweitgrößte in Europa (8 Millionen Menschen verdienen weniger als 9,15€ die Stunde). Die Leiharbeit hat sich in der Zeit vervielfacht, zudem sind Befristungen und Minijobs ganz „normaler“ Alltag in der Arbeitswelt geworden. Frank Bsirske (verdi) erkennt die Problematik (auch, wenn das nicht glaubwürdig ist, da seine Gewerkschaft an der Reform mitgearbeitet hat): „Das war die eigentliche, die politisch gewollte Zielsetzung der Agenda 2010: den Druck auf die Löhne und auf die Menschen zu erhöhen“*****
Die Kommunistische Arbeiterzeitung stellt den Zusammenhang zu den Kriegseinsätzen her, denn die Handlungswege der zunehmenden Exporte müssen abgesichert werden. So ist das Fazit folgerichtig: „Wer sich gegen „moderate“ Lohnabschlüsse und gegen die Agenda 2010 nicht wehrt, braucht sich nicht wundern, wenn der Exportanteil der deutschen Wirtschaft auf über 50% steigt und die Freiheit der Handels- und Rohstoffwege am Hindukusch und in Mali verteidigt werden.“******
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Zitate:
* http://www.nachdenkseiten.de/?p=2625, Butterwegge, Christoph
** KAZ-Fraktion “Ausrichtung Kommunismus”. Ausgabe 343 („10 Jahre Agenda 2010 – Offensive des deutschen Imperialismus – Was tun?“). S. 8
*** ebd. S.11
**** ebd. S.14
***** ebd. S.18
****** ebd. S.19
Quellen:
http://kaz-online.de/pdf/343/343_4.pdf, Leitfaden für meinen Artikel + Bild
http://www.nachdenkseiten.de/?p=2625, v.a. zum Inhalt des Lambsdorff-Papiers
http://de.wikipedia.org/wiki/Hartz-Konzept, v.a. die Daten zur Umsetzung der einzelnen Hartz-Gesetze
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